Immer wenn ich im Bus Richtung Nordstadt fahre, und es kommt die Haltestelle Grabbestraße, denke ich „Ich bin an meinem dritten Löffel.“ Das habe ich von Heinrich Heine, der mit den Juwelen seiner Mutter als Student seinen Unterhalt bestritt, und von Grabbe berichtete, dass dieser nur das Tafelsilber der Familie zur Verfügung hatte und seine aktuelle Lage, jeweils nach dem verbliebenen Vorrat an Messern, Gabeln, Suppen- und Kaffeelöffeln beschrieb. Es hat nicht weit gereicht, das Familiensilber. Grabbe ging es nicht gut.
Das Viertel, in den späten 1920er und 30er Jahren gebaut, versammelt Grabbe, Melanchthon, Kleist und so weiter, aber auch Husaren-, Dragonerstraße und nur einen Steinwurf entfernt, Richtung Innenstadt, befindet man sich in der Gründerzeit und ganz in Preußens Gloria: Zieten, Seydlitz, Goeben ... Hohenzollern, Kriegerstraße, Welfenplatz. Ja, selbst der Wedekindplatz ist nicht nach Frank Wedekind, der in Hannover geboren wurde, benannt, sondern nach irgendeinem Militär aus der Familie. Das aber haben die Anwohner längst in Eigenregie umgedeutet: Es gibt das Café Lulu dort, man wehrt sich gegen die Stadtplanung, die alte Bäume zugunsten einer autogerechteren Platzgestaltung fällen will und fühlt im Geist eines widerständigen Realismus, ohne Prüderie, leicht hedonistisch. Sogar die Katzen haben dort eigene Klingelschilder und man kann draußen sitzen und Kaffee trinken.
Auch Namen sind nur Klänge und irgendwann denkt man nichts mehr dabei. Eine Schulfreundin von mir hat immer Molkte-Platz gesagt. So wie ein seltsames Präteritum von melken. Ich fand das viel schwieriger zu sprechen als Moltke, sagte aber nix. Sie wissen schon: Aus Höflichkeit und weil Moltke ja auch nicht viel gesagt haben soll. Viel mehr weiß ich nicht von Moltke. Und das wenige auch nur, weil ein Tatort mit Götz George so hiess.
Doch durch die Zeit - mit Grabbe, Heine und Co. -, zu Wedekinds Zeiten und erst recht danach, war das öffentliche Leben ein Männerleben und ein Männerleben meist ein Kriegerleben: Sedanstraße, Langensalza, Waterlooplatz, Hindenburgstraße, Walderseedenkmal, Ulanenreiter, Bismarckbahnhof... Franzosenkriege, erster Weltkrieg und erst der zweite hat uns das ausgetrieben. Und das Kino. Die Lässigkeit der Film-Cowboys Gary Cooper und Clark Gable, James Stewart, Montgomery Clift. Sie schossen auch, aber locker aus der Hüfte. Und dank Trommelrevolver sechsmal in sechs Sekunden.
Aber wer, hat mal ein kluger Krimischriftsteller seinen Kommissar sagen lassen, möchte denn überhaupt auch nur eine einzige Kugel im ganzen Leben abfeuern? Keiner. Meinetwegen können wir noch viele Straßen umbenennen. Gerne nach Kunstfiguren und Antihelden, denn auch Grabbe hatte seine dunklen Seiten: Schwejkstraße, Eulenspiegel- und Krullweg, Anton-Reiser-Gasse und für mich einen Kater Mikesch-Platz.
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