Kolumne

Wir mögen Bücher und Papier, deswegen gibt es unser Programm auch als Heft. Und in jedem Heft gibt es ein Editorial der Literaturhausleiterin Kathrin Dittmer. Das wollen wir auch online niemandem vorenthalten!

Editorial März / April

I am the Greatest

Früher, wenn einer wissentlich etwas Falsches sagte, hieß das Lügen. Heute immer noch. Zudem gibt es Unwahrheiten und eigene Wahrheiten, doch seit kurzem  und je nach Interessenlage auch alternative Fakten, Fakes und Internet-Trolle, die Gefolgschaft simulieren. Mit „Fakten, Fakten, Fakten“, wirkt man irgendwie anmaßend, jetzt heißt das „Fakten, faken, alternative Fakten“. Na ja, oder so ähnlich.

Ich überlege schon seit geraumer Zeit, wie ich wohl Gast in einer Polit-Talkshow werden könnte. Vielleicht etwas spektakulär Bescheuertes ganz fest behaupten? Feinstaub ist eine körpereigene Substanz und würde uns fehlen oder so. Dann würde ich auf alles, was die anderen sagen, immer nur einen Satz bringen: „Stimmt ja gar nicht.“ Und schwups hätte ich eine Partei gegründet und wäre Kandidatin. Da braucht man allerdings ein belastbares Gemüt. Denn vielleicht, weil die fortgeschrittene Merkantilisierung der Gegenwart es mit sich bringt, dass alle Welt sich gut verkaufen will, muss es heute immer etwas mehr sein. Dick auftragen: quasi erwünschte Eigenwerbung. Understatement war mal.

Wie schon damals Muhammad Ali, noch als Cassius Clay, mit „I am the greatest“. Allerdings hinkt der Vergleich, denn er bewies dann, dass es stimmte, weswegen seine Behauptung wohl eher als zutreffende Selbstdarstellung betrachtet werden muss, vielleicht auch als erfolgreiche Autosuggestion. Es war wohl aber eine Marketingstrategie. Egal: Heute liefe das unter „Selbstoptimierung“. Wobei sich da eine neue Schikane zeigt: Wer oder was bestimmt eigentlich, was das Optimum ist?

Okay, Schwergewichts-Weltmeister ist ein klares Ziel und Muhammad Ali wollte, soweit ich weiß, nie etwas anderes sein als ein klasse Boxer. Da ist dann auch klar, was optimal ist: Weltmeisterschaft gewinnen, danach den Titel möglichst rekordverdächtig lange halten. Das schafft nicht jeder und Weltmeister soll auch gar nicht jeder können, denn wenn alle Weltmeister wären, wäre keiner mehr Weltmeister. Doch, doch, das stimmt schon so. Nur mal kurz nachdenken: Wo es Gewinner gibt, muss es auch Verlierer geben.

Wenn es aber so richtig viele Verlierer gibt, weil ein weniger fokussierter Selbstoptimierer meint, er könne alles? Wenn zum Beispiel ein erfolgreicher Unternehmer sich berufen fühlt, ein ganzes Land unter betriebswirtschaftlichen Aspekten zu optimieren. Und man ihn dann lässt. Plötzlich hat man da Bevölkerung übrig. Was macht man dann mit denen? Entlassen?

Muhammad Ali wusste, wo seine Grenze war, und er wollte kein Vietnam-Kämpfer sein. Deswegen musste er ins Gefängnis und durfte nicht mehr boxen. So war das damals. Er wusste: Einen Kampf kann man gewinnen, einen Krieg nicht. So wie es bei Macbeth heißt: „When the hurly burly's done, when the battle‘s lost and won.“

Tja, bei Macbeth hats mit der Selbstoptimierung ja nicht so gut geklappt. Deswegen gibts da so viele Tote. Ich sag mal: Augen auf bei der Berufswahl!

dit 

Im Buchhandel erhältlich:

Hasenrein eingemiezelt
Kolumnen von Kathrin Dittmer.
Für alle, die wissen wollen, warum das Gehirn die eigentliche Problemzone ist, was Weltanschauungen und Küchenmaschinen gemeinsam haben und ob Molly der Hund tatsächlich Flöte spielen konnte.
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