Kolumne

Wir mögen Bücher und Papier, deswegen gibt es unser Programm auch als Heft. Und in jedem Heft gibt es ein Editorial der Literaturhausleiterin Kathrin Dittmer. Das wollen wir auch online niemandem vorenthalten!

Editorial Februar | März 2024

Im Trockendock

Absolute Zahlen sehen genauso oft überwältigend groß wie winzig klein aus. Denn so eine Zahl an sich sagt nur etwas über sich selbst, auch wenn alle wissen, dass zwei nicht viel und drei nur ein wenig mehr ist. Aber aufgepasst: Eins ist die Hälfte von zwei. Zwischen zwei und drei liegt also ein Sprung von 50 Prozent. Dann ist ja auch noch die Frage 50% wovon? Und zwar in Art, Menge und Beschaffenheit einer Sache.

Wem die Welt der Zahlen zuwider ist und solche Gedanken zu materialistisch, sollte in seinen reichen Schatz ambivalenter Erfahrungen kramen oder sich das einfach so vorstellen: Erleidet jemand zwei mal ein Unglück, ist das viel und zwar zu viel. Hat er aber zwei Millionen Euro auf dem Konto, ist das auch viel, doch nicht zu viel und natürlich in jedem Fall, dem Unglück vorzuziehen. Das ist jetzt keine Überraschung. Und pardauz: Schon hat man nicht nur verstanden, dass nicht nur die Verweigerung der Prozentrechnung richtig weh tun kann, sondern auch die Gleichgültigkeit.

Mich stört deswegen, dass in Politik und Medien bei Investitionen so gerne mit absoluten Zahlen gearbeitet wird. Mich erinnert das an die windige Praxis der Lebensmittelindustrie. Eine Aussage wie „jetzt mit weniger Zucker und mehr wertvollen Vitaminen“ heisst gar nix und ist nur ein dreistes Synonym dafür, dass das Zeug ohnehin nur aus Wasser, Zucker und Aromastoffen besteht mit einem Hauch Zitronensäure.

Staunen Sie also nicht über hohe Zahlen für die Kulturförderung! Der Anteil an den öffentlichen Haushalten liegt bei wenigen Prozent und zwar immer unter 3%! Immerhin etwas, wenn man bedenkt, wie viel Geld so rausgehauen wird. Aber es lohnt sich, uns einmal zu fragen, was ist denn eine Kulturausgabe? Da müssen wir uns gar nicht ganz dumm stellen, denn das ist kein physikalisches oder fiskalisches Gesetz, sondern pure Definition: Große Teile der freien Bildungsarbeit, alle Ausgaben für Bibliotheken, Denkmalpflege, Kunsthochschulen und die Kulturverwaltung selbst, und noch sehr viel mehr. Vom Spielmannszug bis zum Staatsorchester, vom geförderten Fernsehfilm bis zum Indie-Film, von der kulturellen Jugendbildung bis zum Ankauf-Etat staatlicher Museen. Falls die überhaupt noch einen haben. Fragen Sie mal nach.

Es hat keinen Zweck, sich um die Mittel zu balgen, selbst wenn die Feinverteilung recht unregelmäßig ist, trotz des berühmten, unkaputtbaren Gießkannen-Prinzips. Außerdem brauchen Museen oder große historische Bibliotheken, die ihren Bestand erhalten und pflegen sollen, auch mehr Geld als ein Ausstellungshaus ohne Sammlung oder ein Literaturhaus.

Die Kultur segelt aber derzeit so hart am Wind, dass einige schon auf Grund gelaufen sind. Das soll uns nicht passieren. Deswegen ist unser Programm etwas schmaler als zuletzt. Auch weil wir schon so lange durch alle möglichen Untiefen schippern, dass es schon ein wenig irre wäre, nach außen hin so zu tun, als ob alles gut wäre. Aber, um im Bild zu bleiben: Wir bleiben an Deck und segeln weiter durch Büchermeere und in Kultursommern, vorbei Sand-und unter Wolkenbänken, betreiben Strömungslehre, Quellenkunde und suchen weiterhin auch nach poetischer Flaschenpost.

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Im Buchhandel erhältlich:

Hasenrein eingemiezelt
Kolumnen von Kathrin Dittmer.
Für alle, die wissen wollen, warum das Gehirn die eigentliche Problemzone ist, was Weltanschauungen und Küchenmaschinen gemeinsam haben und ob Molly der Hund tatsächlich Flöte spielen konnte.
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