Kolumne
Wir mögen Bücher und Papier, deswegen gibt es unser Programm auch als Heft. Und in jedem Heft gibt es ein Editorial der Literaturhausleiterin Kathrin Dittmer. Das wollen wir auch online niemandem vorenthalten!
Aktive Direktorin des ehemaligen Palastes der Literatur
In Momenten leisen Zähneknirschens und bei dem siebenhundertachtzigsten Zuruf „Bleiben Sie gesund!“, in jenen trüben Tagen, als das Ministerium für Wissenschaft und Kultur zum Ministerium für Wissenschaft und Freizeit wurde und pandemische Beklemmungen Besitz von mir ergriffen, fasste ich den tröstlichen Gedanken, dass es sicherlich irgendwen geben müsse, dem es gerade jetzt richtig gut ginge. Du möchtest in die Tischkante beißen, aber vielleicht ganz in der Nähe gibt es einen Menschen, der sich wünscht, die Zeit bliebe stehen vor lauter Glück. Große Liebe, gelungener Hefeteig, wunderbare Momente in der Natur, was weiß ich. Was Leute eben so glücklich macht.
Und dann sah ich ihn tatsächlich: den mit Abstand glücklichsten Menschen seit Monaten, im Fernsehen, ausgerechnet in einer Info-Sendung über den Status Quo der Corona-Forschung, die ich eigentlich hatte gar nicht ansehen wollen. Ein junger Arzt vom UKE Hamburg erklärte anschaulich, wie Impfstoffe heute gebaut würden, und dass er an einem Vektorimpfstoff arbeite, der sehr gut verträglich sein würde, das wisse er, weil man mit einem ebenso gebauten, große Erfolge gegen Ebola hätte. Und der junge Mann sagte: Es sind jetzt wirklich tolle Wochen für die Impfforschung. Und leuchtet dabei ein wenig von innen.
Daran hatte ich gar nicht gedacht! Natürlich müssen das tolle Wochen für die Impfforschung sein! Und ich hoffte sehr, dass ich mich bald mit so einem Vektorimpfstoff würde impfen lassen können und wäre happy und wüßte zudem: Auch der junge Arzt im UKE ist sehr glücklich, weil seine Arbeit so wirksam ist. Und meine könnte wieder beginnen.
Derweil aber haben wir Geisterlesungen und das Haus ist ab Mittag, wenn die Post da war, zu. Als wir vom Literaturbüro zum Haus wurden, spielten wir mit dem Gedanken, uns fortan „Ehemaliger Palast der Literatur“ zu nennen, denn der ehemalige des Volkes der Ehemaligen wurde grad abgerissen und das Palais Grote, das ein prima Literaturhaus abgegeben hätte, überliess das Land den schwebenden Yogis. Ehemaliger Palast der Literatur wäre schön selbstironisch, aber es wäre auch lästig, den Namen immerzu erklären zu müssen und Grafiker weinen bei so langen Namen, die dauernd sperrig herumstehen und unheimlich viel Platz brauchen. Und Leid gibt es ja nun genug auf der Welt.
Es dämmert in den Räumen durch die ich in wollenen Gewändern, weil es vom vielen Lüften kalt ist, woge. Ein bißchen wie Karlssons Gespenst mit Kanelbullar, natürlich aus Hefeteig. Auch in meinen schamlos teuren Wecken könnte mehr Zimt sein. Aber mehr Ernst in meinen schamlos kurzen Tagen? Aktive Direktorin des ehemaligen Palastes der Literatur, sie schwebt und sie fliegt!
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Im Buchhandel erhältlich:
Hasenrein eingemiezelt
Kolumnen von Kathrin Dittmer.
Für alle, die wissen wollen, warum das Gehirn die eigentliche Problemzone ist, was Weltanschauungen und Küchenmaschinen gemeinsam haben und ob Molly der Hund tatsächlich Flöte spielen konnte.
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