Kolumne
Wir mögen Bücher und Papier, deswegen gibt es unser Programm auch als Heft. Und in jedem Heft gibt es ein Editorial der Literaturhausleiterin Kathrin Dittmer. Das wollen wir auch online niemandem vorenthalten!
Maschinenwahn
Es gibt immer mal Nächte, in denen ich mich frage, was ich eigentlich den ganzen Tag gemacht habe. Das Gefühl nur gerade soeben über die Oberfläche geschlittert zu sein, um kopfheister in den Abend zu bauzen, an dem ich dann auch keinen brauchbaren Gedanken mehr fasse, fordert echte Verdrängungsleistung, damit ich nicht auch noch durch Schlaflosigkeit weitere, kostbare Energie verschwende. Oft sitzen mir genau dann schwierige Finanzierungsfragen im Nacken. Wenn gar nichts hilft, schalte ich das Licht wieder an und mache mir Notizen. Denn frei nach Talleyrand soll man sich nicht sinnlos echauffieren, sondern Notizen machen.
Ich habe eine Arbeit, von der man annehmen könnte, es ginge dabei um Kunst. Gefühlt geht es aber in acht von zehn Fällen um Geld. Vielleicht in Wahrheit nur in fünf von zehn, aber die brummeln als Generalbass durch jene sinnlos verschlitterten Tage und deswegen gefühlt in acht.
In letzter Zeit musste ich oft ans Kapital denken. Nicht an meins, das weder gefühlt noch gemessen sonderlich ins Gewicht fällt oder an das sowieso nicht existierende vom Literaturhaus, sondern an das von Karl Marx. Ich musste das im Studium lesen und habe kaum noch daran gedacht. Nur ab und zu erinnerte ich mich fast liebevoll an die Enveloppemaschine in Kapitel 13, weil das ein lustiges Wort ist und weil sie alle notwendigen Operationen auf einen Schlag verrichtet. Das hätte ich nämlich, knietief in unerledigter Arbeit stehend, auch furchtbar gerne gekonnt: Alle notwendigen Operationen auf einen Schlag verrichten, also alles immer superproduktiv erledigen. Und dann Zeit haben! Zum Lesen, zum durch die Gegend laufen oder was mit anderen Leuten machen. Was man eben so Leben nennt.
Trotz vertiefter Ökonomiekenntnis träumte also auch ich in kapitalen Nöten davon, wie eine gut geölte Maschine zu laufen. Da hatte es wohl wenig genützt, vom besonderen Wert der leiblichen Arbeitskraft zu lesen. Denn die Maschinen erwirtschaften bekannter Weise laut Marx keinen Mehrwert. Aber den hat zum Glück ja die Kunst! Deswegen arbeitete ich für die Kunst gerne weiter und wünschte, ich wäre effizienter und drehte mich im Kreis.
Doch das Gedächtnis ist ein lustiger Muskel und prompt ist mir eines Abends die Sache mit der Kapitalakkumulation wieder eingefallen. Dafür muss man das selbige allerdings nicht mal gelesen haben, denn man kann dieses Phänomen mit dem alten deutschen Sprichwort „Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen.“ ganz gut zusammenfassen. (Wer viel hat, wird mehr bekommen. Und solange auf Kapitalerträge weniger Steuern erhoben werden als auf Arbeitseinkommen, wird das so bleiben. Aber das nur am Rande...) Und immer wenn ich jetzt Elon Musk in den Nachrichten sehe, fällt mir das ein. Und während Musk und Trump, der semierfolgreiche Immobilienhändler, unter dem Jubel ganzer Stadien die USA im Stil wildgewordener Betriebs-Terminatoren abwickeln und großkotzig vom nächsten Deal sprechen, den sie mit dem Diktator von nebenan zum Besten aller machen werden, hoffe ich fest, dass dieser irre Tanz patriarchaler Großtuer sich möglichst bald erschöpfen möge. Ja, ich habe noch Illusionen!
Für meine ganz persönliche Schlaflosigkeit und den Maschinenwahn habe ich zwei Heilmittel gefunden. Erstens weiß ich inzwischen, dass Frank und Renate auch oft wach liegen und dann denke ich eine Weile an diese angenehmen Menschen und die schönen Seiten meiner Arbeit, was mich fröhlich stimmt. Und zweitens habe ich von Katja den Tipp bekommen, von hundert runter zu zählen bis null und mir vorzustellen, ich würde die Zahlen auf eine Tafel schreiben und jede auswischen bevor ich die nächste aufschreibe. Es ist wohltuend vor dem inneren Auge, einen großen Haufen auf Null zu schrumpfen. Kann ich nur empfehlen. Und ich möchte inzwischen auch nicht mehr in frühkapitalistischer Manier alles auf einen Schlag erledigen, sondern habe in paradoxer Selbstintervention beschlossen, bei hohem Druck einfach weniger zu arbeiten. Es könnte ja sein, dass mir dann ein paar brauchbare Gedanken kommen. dit

Im Buchhandel erhältlich:
Hasenrein eingemiezelt
Kolumnen von Kathrin Dittmer.
Für alle, die wissen wollen, warum das Gehirn die eigentliche Problemzone ist, was Weltanschauungen und Küchenmaschinen gemeinsam haben und ob Molly der Hund tatsächlich Flöte spielen konnte.
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