Kolumne

Wir mögen Bücher und Papier, deswegen gibt es unser Programm auch als Heft. Und in jedem Heft gibt es ein Editorial der Literaturhausleiterin Kathrin Dittmer. Das wollen wir auch online niemandem vorenthalten!

Editorial März 2022

Ein bescheidener Vorschlag

Die Wissenschaft hat festgestellt, dass es bald zu viele Rentner geben wird. Jedenfalls: Die Zeichen mehren sich. Wer altmodisch genug ist, regelmäßig eine Zeitung durchzublättern, merkt das an dem in immer kürzerem Turnus erscheinenden Bild einer fröstelnden einsamen alten Frau auf einer Parkbank. Dort wird mit gerunzelter Stirn darauf hingewiesen, dass wir immer älter werden und es deswegen nun alsbald zu einer Rentnerwelle kommen wird. Das Land erwartet eine Flut von Alten in zu dünnen Mänteln auf Parkbänken, denen man schon von Weitem ansieht, dass die dem Staat zur Last fallen, denn – hoppla! – irgendwie zahlen zu wenig Leute in die Rentenkasse ein. Es gibt zwar diesen Club der Multimillionäre, die schon mehrfach gebeten haben, sie stärker zu besteuern, aber das ist nur eine Schrulle dieser sympathischen Philanthropen. (Kennt man ja aus den einschlägigen Fernsehfilmen.) Und hat nichts mit Politik oder Staatsfinanzen zu tun. Genau wie die Nullzinsphase bei den chronisch klammen, dummen kleinen Sparern. Tja: Augen auf bei der Anlageberatung!

Das chronische Leck in der Rentenkasse ist einfach nicht in den Griff zu kriegen, das sagt Ihnen jeder Politiker, der sich darum kümmern muss. Steuereinnahmen sind da nun mal tabu. Es ist ein ehernes Gesetz, dass die Jüngeren das Geld für die Älteren aufbringen. Das war eine gute Idee – nach dem Weltkrieg und vor der Pille – und bleibt es. Die Lösung des Bundes lautet Rentenanpassung. Dann ist es das Problem der Kommunen, wenn die fröstelnden Mütterchen und Väterchen von der Parkbank zum Sozialamt pilgern.

Aber halt! Diese Alten sind ja allzu selten Mütterchen und Väterchen gewesen. Sonst hätten wir doch ganz, ganz viele Junge, die ordentlich einzahlen würden. Wenn sie denn Arbeit hätten zumindest. Erstmal hätten die ja wieder Geld gekostet. Bildung! Wussten Sie, dass die ungeheure Summen verschlingt? Okay, in Steuerklasse I zahlen kinderlose Durchschnittsverdiener zwar bis zu 25% Lohnsteuer und einen Aufschlag zu Pflegeversicherung, aber das hilft ja der Rentenkasse nicht. Also irgendwie auch selber schuld, oder? Diese geburtenstarken Jahrgänge sind aber auch zu lästig. Erst waren es zu viele Kinder in den Schulklassen, dann zu viele Jugendliche in Ausbildung und Studium, natürlich auch auf dem Arbeitsmarkt und nun – Überraschung! – zu viele Rentner. Was tun?

Da gibt es doch Vorbilder. Man könnte damit beginnen, die Gesundheitsleistungen zu privatisieren. Wie in good old England. (Dort trägt man T-Shirts mit dem Aufdruck „Still hating Maggie Thatcher“. Lustig nicht?) Unser IGel ist ein viel zu putziges Tierchen. Da müssen andere Saiten aufgezogen werden. Es muss einfach teurer werden, gesund zu bleiben, Zähne zu haben und womöglich Freude am Leben.

Ich zum Beispiel, Anfang der 60er geboren, könnte doch statt bis 67 bis 77 arbeiten. Eine Smartwatch mit Datenübertragung zur AOK führt dort Buch über mein Ernährungs- und Bewegungsverhalten und wenn ich ordentlich Stress-Symptome zeige, zu müde zum Sport oder für fröhliche Kontakte bin, schickt mir die AOK statt der ewigen Tipps für gesunde Ernährung eine Flasche Schnaps und ein Netflix-Abo. Man muss die Herz-Kreislauferkrankungen nicht bekämpfen, sondern fördern. Denn das ist ein schneller Tod, der mit Glück die Allgemeinheit wenig kostet. Das finden Sie zynisch? Ach was! Ich auch. Trotzdem, wenn Sie noch jung sind oder Kinder in Ausbildung haben, hier mein Tipp: Bestatter werden. In spätestens 20 Jahren wird die Sterberate nämlich - völlig überraschend - hoch sein.

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Hasenrein eingemiezelt
Kolumnen von Kathrin Dittmer.
Für alle, die wissen wollen, warum das Gehirn die eigentliche Problemzone ist, was Weltanschauungen und Küchenmaschinen gemeinsam haben und ob Molly der Hund tatsächlich Flöte spielen konnte.
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