Kolumne
Wir mögen Bücher und Papier, deswegen gibt es unser Programm auch als Heft. Und in jedem Heft gibt es ein Editorial der Literaturhausleiterin Kathrin Dittmer. Das wollen wir auch online niemandem vorenthalten!
Eigenzeit
Die Crux beim Schreiben von Programmheft-Kolumnen liegt in der Ungleichzeitigkeit von Textproduktion und Lesen. Das ist beim Schreiben von ernsthafter Literatur natürlich immer so, aber die sollte auch haltbar sein. Während beim Verfassen von Texten, die mutmaßlich spätestens am Monatsende im Altpapier landen, das Schreiben auf den letzen Drücker das beste ist und auch mehr Spaß macht – abgesehen davon, dass es mich eigentlich sowieso eher quält, als dass es Spaß macht.
Bei Ihnen ist es jetzt also ungefähr Februar. Bei mir ist Ende November. Die Stimmung in der Branche ist eher so lala und die ganz Unerschrockenen spekulieren noch, was uns durch Pandemie oder Regierung wohl nun wieder blühen mag, während die Pragmatiker*innen, kurz vorm Kollaps und mit den Lidern zuckend, so tun, als ob sie es noch hören könnten.
Ich weiß nicht, ob ich mir meine eigenen Merksätze wirklich merke, aber ich merke mir jetzt – und kann das ja sauber terminiert im Februar überprüfen! –, dass ich nie mehr spekulieren will. Vor Börsenspekulationen brauche ich mich nicht zu hüten, dafür fehlt mir das Kapital, aber vom geistigen Kapital geht mir auch der Rest noch flöten, wenn ich noch einmal Mutmaßungen über Landesverordnungen höre oder fantasiere.
Es ist nicht kompliziert! Man hat eine Einstellung zur eigenen Verantwortung als Kultureinrichtung und nimmt das genau, und da- rüber hinaus richtet man sich nach den Verordnungen, wenn sie verordnet werden. Nicht früher und nicht später. „Aber ich finde“, sagt der Verleger meines Vertrauens jetzt, „wir werden derzeit nicht gut geführt.“ Und ich sag: „Na, Du hast ja noch Ideale.“ Touché. Der Punkt geht an mich, ha.
Es ist wie mit der Lyrik. Da heißt es auch immer, sie sei kompliziert. Lyrik lesen ist aber ganz einfach. Man schlägt das Buch auf, liest drin und irgendwann schlägt man das Buch wieder zu. Fertig. Überhaupt, wer behauptet, Lyrik sei schwierig, hat noch nie einen telefondurchklingelten Tag mit dem Lesen von Landesverordnungen verbracht. War ich froh, als die Schaubilder kamen. Aber egal. Gebe die Muse oder der Muser aber bitte, dass es nie Schaubilder für die Erklärung von Gedichten geben wird. Obwohl, Hans Traxler hat mal einen sehr schönen Cartoon auf Rilke im D-Zug gemacht: „Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe ...“. Jedenfalls fällt Rilke am Ende schreiend aus dem D-Zug.
Es gibt Dinge, die vermisst man. Weniger Dichter in D-Zügen, aber wieder mehr Cartoons von Traxler. Oder Harry Rowohlt oder, oder, oder. Ich vermisse eine ganze Menge. Stimmen, Menschen, Katzen, Tage, Jahre und die Tipps über Buchhaltung meiner Mutter. Ich quäle mich nun schon seit Wochen mit dem neuen System. Am besten, ich ruf mal Mama an, denke ich. Am Tag ihrer Beerdigung habe ich mich ein zweites Mal impfen lassen. Ich fuhr gerade in meinen rechten Stiefel und humpelte also zum Telefon, um zu hören „Wie spontan sind Sie?“ „Wie schnell sind Sie?“, fragte ich zurück. „Mach schnell, beeil Dich“, sagte meine Mutter. „Das schaffst Du, und dann ist es erledigt. Mir ist egal, wenn Du zu spät kommst. Ich bin ja tot“, und grinste. Also: nichts wie hin und weiter. Mir ist das Impfen gut bekommen. Mein Lieblingskabarettist (weil Matthias Beltz ja auch schon tot ist), Josef Hader, sagte dieser Tage in der NZZ: „Die Heilpraktiker-Idee, dass wir Menschen alle sehr feinstofflich sind und die Schulmedizin dafür viel zu grob, ist schon etwas sehr Deutsches und Österreichisches.“ Meine Mutter grinst schon wieder.
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Im Buchhandel erhältlich:
Hasenrein eingemiezelt
Kolumnen von Kathrin Dittmer.
Für alle, die wissen wollen, warum das Gehirn die eigentliche Problemzone ist, was Weltanschauungen und Küchenmaschinen gemeinsam haben und ob Molly der Hund tatsächlich Flöte spielen konnte.
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