Kolumne

Wir mögen Bücher und Papier, deswegen gibt es unser Programm auch als Heft. Und in jedem Heft gibt es ein Editorial der Literaturhausleiterin Kathrin Dittmer. Das wollen wir auch online niemandem vorenthalten!

Editorial November 2021

Aufräumen | Katalog meiner Sentimentalitäten 17

Ich fürchte, ich habe es an dieser Stelle schon erwähnt und muss mich leider wiederholen – und Wiederholungen gefallen nicht: Ich hebe einfach zu viel auf. Nun gibt es dafür eine einfache Lösung: Aussortieren. Ich habe auch vor Kurzem, also vor ungefähr 2,7 Jahren, beschlossen, endlich mal den Bestand gesundzuschrumpfen, und habe kräftig zugelangt. Es gab zwei Säcke „Kann und muss weg“ und einen Berg „soll wiederverwendet wer- den.“ Sah ganz gut aus. Aber nach dem Aussortieren kommt die eigentliche Königsdisziplin: Wegwerfen. Tja. Aus Erfahrung kann ich berichten: Wenn man das säuberlich sortierte Zeug lange genug stehen lässt, wandelt es sich tückisch zu einem schlimm amorphen Haufen, der da heißt: „Könnte ich womöglich demnächst doch noch gebrauchen“.

Schachteln zum Beispiel. Irgendwie haben Schachteln so etwas unbedingt Nützliches an sich. Es ist auch wirklich absurd, etwas wegzutun, dass schön glatt und sauber ist, im Laden ein paar Euro fuffzig kostet und sich mit ein bisschen Gestaltungswillen und -fähigkeit wieder verwenden lässt. Für diese Macke habe ich immerhin eine Lösung gefunden: Sämtliche Geburtstags-, Weih- nachts-, Oster- und Gelegenheitsgeschenke werden in mit wiederverwendetem Geschenkpapier gezierten Pappschachteln überreicht. Na ja, wenn ich die Zeit für die Verschönerung finde und das Geschenk irgendwie in die Schachtel passt. Wahrscheinlich ist mein Schachtelproblem einfach genetisch. Meine Oma hob auch immer hübsche Umverpackungen auf, und alle ihre Töchter verdrehten die Augen und riefen im Chor: „Ja, ja! Heb’ nur diese Schachtel auf! Du könntest mal auf eine einsame Insel verschlagen werden und dann genau diese Schachtel brauchen!“

Aber im Grunde sind Pappkartons kein Problem. Ein beherzter Moment, und die Altpapierverwertung nimmt friedlich ihren Lauf. Selbst Kleidung, Geschirr und fiese Katzendevotionalien stellen kein Problem mehr dar. In geringer Menge vor der Haustür sauber zurechtgestellt sind sie in zwei bis drei Tagen spurlos verschwunden. Nichts ist so sinnlos, als dass nicht irgendjemand davon Gebrauch machen möchte.

Nein, das eigentliche Problem sind Bücher. Voll Ehrfurcht und Zerknirschung lauschte ich neulich beim Glas Wein Autor und Moderator, die sich in ihrem Bekenntnis zum Abstoßen überzähliger Bücher überboten. Je länger ich die Ohren spitzte, desto schatzhausend zwergenhafter sackte ich auf meinem Stuhl zusammen. Mal war ein einziges Bücherregal Maß der Menge, mal das anspruchsvolle Kriterium „Werde ich es nochmals lesen?“ Aber wie kann man wissen, ob man etwas wieder wird lesen wollen oder überhaupt endlich mal ganz lesen? Außerdem: Nur abgelegene Umsonst-Läden nehmen noch Bücher an. Auch Bibliotheken winken ab. Man muss Bücher also etliche Kilometer durch die Gegend karren, um einen Abnehmer zu finden, oder sie gehen gleich den Weg der Schachteln.

Noch habe ich mich von kaum einem Buch getrennt. Als alles überquoll, habe ich ein Monatsgehalt in die Hand genommen und beim Tischler neue Regale bestellt. Nun stehe ich also Alberich gleich zwischen aufragenden Bücherlasten und frage mich bang, ob ich nicht versuche, etwas festzuhalten, das man nicht festhalten kann: Die Zeit. Denn an meinen Wänden wächst sozusagen die Vergegenständlichung meiner Literaturhausjahre. Wahrscheinlich alles irgendwie ungesund. Aber ich habe mir Dispens gegeben und das zur lässlichen Sünde erklärt. Ein Laster eben. Nun gut. Immerhin: Ich rauche nicht, ich saufe nicht und sammle keine Katzendevotionalien.

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Im Buchhandel erhältlich:

Hasenrein eingemiezelt
Kolumnen von Kathrin Dittmer.
Für alle, die wissen wollen, warum das Gehirn die eigentliche Problemzone ist, was Weltanschauungen und Küchenmaschinen gemeinsam haben und ob Molly der Hund tatsächlich Flöte spielen konnte.
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