Kolumne
Wir mögen Bücher und Papier, deswegen gibt es unser Programm auch als Heft. Und in jedem Heft gibt es ein Editorial der Literaturhausleiterin Kathrin Dittmer. Das wollen wir auch online niemandem vorenthalten!
Alles nur geklaut
Es besteht kein Zweifel: Ich sitze ganz dick drin im Konsumgeschäft. Luxus, Luxus, Luxus, wohin ich schaue. Nein, ich besitze keine Designerhandtaschen und lehne Geschmacklosigkeiten wie goldene Wasserhähne entschieden ab, aber eher geht ja ein Seil durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in den Himmel kommt, und gemessen am weltweiten Durchschnitt bin ich mit sauber funktionaler Mietwohnung, Spülmaschine, vollem Kühlschrank und noch volleren Bücherregalen sowie einer übervollen Sockenschublade und was weiß ich noch für Zeug (Schuhe und Vasen kann man nie genug haben!) ganz vorn dabei. Jedenfalls verstricke ich mich nicht nur wie Laokoon täglich in meiner Sockenschublade, sondern in Schuld!
Morgens geht es los mit dem Kaffeekochen. Wo kommt der Kaffee her und wieviel Wasser verbrauchte der schon, bevor er in meine Dose kam, die übrigens eine alte Reklame ziert, die zwar nicht eigentlich rassistisch ist, aber womöglich von kultureller Aneignung zeugt. Immerhin habe ich mir den Kaffee nicht einfach angeeignet, sondern sogar recht teuer bezahlt, in der Hoffnung, dass die Erzeuger halbwegs anständige Preise dafür bekommen. Dann der Griff zur Milch: schlecht für die Kuh, und bekommen denn die hiesigen Milchbäuerinnen anständige Preise dafür? Hm.
Ich stelle den Katzen Futter hin und überspringe die Bilanz von Haustierhaltung, nippe am Kaffee, während sie manierlich mampfen. Das Kaffeetrinken und Katzenhalten haben wir uns in Nordeuropa eindeutig angeeignet: Ägypten und Äthiopien, denke ich, und lange her. Ist das jetzt gelernt oder geklaut?
Wie dem auch sei: Ab unter die Dusche. Shampoo! Tut englisch, klingt aber eher nach indischem Lehnwort. Mit äußerst unbehaglich kolonialem Gefühl seife ich mich ein. Ach, egal: Als ich jung war, hieß das Haarwaschmittel. Die regelmäßige Körperpflege unter Anwendung von Wasser gab ’s wahrscheinlich überall schon immer. Die Seife kam aber womöglich mit den Römern und ihrer imperialistischen Eroberungswut wie alle Zivilisation aus dem Zweistromland? Da kommen übrigens auch fast alle Obstsorten und Gemüse her, die wir gerne essen und die meine Krankenkasse mir unermüdlich alle Vierteljahre wieder in ihrem Magazin zum täglichen Verzehr empfiehlt. Alles aus Mesopotamien, außer natürlich es kommt aus Südamerika, wie die Kartoffel, Tomaten und auch die Tulpe. So richtig heimisch ist nur eine Art Sellerie hier, einige vergessene Kräuter und essbare Gräser sowie irgendeine alte Zwiebel, glaube ich. Oder?
Jetzt abtrocknen. Oh, ein Frotteehandtuch. Französisches Wort, aber Baumwolle. Ganz finstere Assoziationen. Diese kommt angeblich ökotexmäßig aus der Türkei und immerhin nicht mehr von Sklavenhalterplantagen. Die Türkei ... nun ja, auch irgendwie nicht gut, und Baumwolle kommt schon wieder eigentlich aus Afrika und Asien. In „Schlimmes Ende“ von Philip Ardagh decken sich die Eltern aus irgendwelchen seltsamen Gründen, meine ich mich jetzt zu erinnern, mit Packpapier zu, statt mit Bettzeug. Vielleicht sollte ich das auch erwägen. Allerdings kommt Papier ursprünglich auch aus China – oder schon wieder aus Ägypten? Oder war es Knäckebrot? Bei Ardagh, meine ich. Das kommt doch aus Schweden und das haben die uns doch freiwillig verkauft?
Ich geb erst mal auf, meine nichtige, konsumatorische, imperial-postkoloniale Existenz zu betrachten. Schließlich muss ich gleich zur Arbeit und mich auf anderes konzentrieren. Mist, schon wieder spät dran. Schnell die Treppe, in den Hof aufs Rad und ab durch die Mitte. Nächste Frage: Wer hat eigentlich die Arbeit erfunden?
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Im Buchhandel erhältlich:
Hasenrein eingemiezelt
Kolumnen von Kathrin Dittmer.
Für alle, die wissen wollen, warum das Gehirn die eigentliche Problemzone ist, was Weltanschauungen und Küchenmaschinen gemeinsam haben und ob Molly der Hund tatsächlich Flöte spielen konnte.
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