Kolumne
Wir mögen Bücher und Papier, deswegen gibt es unser Programm auch als Heft. Und in jedem Heft gibt es ein Editorial der Literaturhausleiterin Kathrin Dittmer. Das wollen wir auch online niemandem vorenthalten!
Abgelegen
Immer wenn es weitergeht mit dem Wegducken vorm Virus, und ich für die jüngst erreichte Gegenwart eigentlich etwas anderes auf dem Plan gehabt hatte, frage ich mich, wie ich vor Monaten so naiv sein konnte. „Sah ja zu dem Zeitpunkt auch besser aus“, sagt mein Bruder. Aber früher, als wir noch zusammen im Inselkino Bud-Spencer-Filme guckten, hätten wir gesagt: „schön gegen den Schrank gelaufen“. Und tapfer nochmal versucht, könnte man ergänzen. Vom dauernden Antauchen und Auflaufen ist der Nacken schon ganz hart.
Also entspanne ich auch Ostern nicht auf der Insel. Auch meinen Geburtstag verbringe ich schon zum zweiten Mal nicht im Leipziger Messetrubel, sondern diesmal in Quarantäne. Zwar nicht ganz so wie auf der sprichwörtlichen einsamen Insel, abgeschieden ist es aber trotzdem: Ein Absonderungsbrief traf ein und meine Nachbarn und Freunde legen mir Post und Brot vor die Wohnungstür. Die öffne ich einen Spalt für Sekunden, wenn das Treppenhaus wieder leer ist, und grabsche hektisch nach den Sachen. (Jetzt denken Sie bitte nicht, ich sei völlig hysterisch. Es ist mal wieder wegen der Katzen. Die flitzen sonst raus und ich darf ja nicht hinter ihnen herkeuchen, um sie wieder einzufangen.)
Jedenfalls stelle ich mir so ein bisschen das Eremitenleben vor, nur dass die mehr beten. Vielleicht tendiere ich ohnehin mehr so zum Schmuckeremit, wenn auch jetzt leider nur in Selbstbetrachtung.
My home is my castle ist angeblich ein englisches Sprichwort. Wobei mir immer nicht so ganz klar ist, ob das eine Erklärung der Wehrhaftigkeit oder ein Postulat der Sicherheit ist. Manche meinen ja, das sei dasselbe. Das halte ich aber für etwas zu kurz gedacht. Obwohl es bestimmt toll wäre, wenn ich so Bud-Spencer-mäßig lästige Kerle einfach drei Meter weit werfen könnte. Ein früherer Mitbewohner hatte ein bisschen so eine Anmutung von Superkraft. Er war sehr friedlich, aber als Kind in den Zaubertrank gefallen und trug schon in der Grundschule die Hemden seines Vaters auf. Einen Konzertflügel konnte er aus dem Stand auf der schweren Seite alleine anheben und musste beim Öffnen von Schraubgläsern immer aufpassen, das Glas nicht aus Versehen mit der linken Hand zu zerdrücken. Es kann also auch ein wenig hinderlich sein, wenn man so stark ist. Außerdem wird man dann dauernd gefragt, ob man mal eben schnell den Flügel oder das Auto anheben könnte, und schwuppdiwupp hat man Rücken und die kleine Schwester trägt einem die Koffer, woraufhin sich dann alle empören, dass man so ein Tölpel ist.
Aber zurück zu home, sweet home, was Igel angeblich leicht pfeifen können. Ich darf immerhin zu Hause bleiben und muss meine Zeit nicht an öden, langweiligen Orten zubringen. Von Schreckensbildern aus Krankenhäusern abgesehen, gibt es ja allerhand Blasen dieser Art, in denen man nicht mal tot über 'm Zaum hängen möchte, wie meine Cousine immer sagt. Ein schlauchförmiges Zimmer mit Nasszelle in einer Reha-Klinik zum Beispiel. Oder in Disneyland, oder wie die Deutsche Fußballnationalmannschaft in Putins Freizeitpark. Je nachdem, wie man veranlagt ist, findet man es vielleicht nicht so märchenhaft. Märchen-Haft, darf ich Ihnen als Kennerin des Genres sagen, kann nämlich sowieso nach hinten losgehen, ähnlich wie Sagen-Haft und Fabel-Haft, eng verwandt und schon an sich recht zwielichtig! Überhaupt: Zweifel-Haft, Traum-Haft ... oh je, oh je. Am besten ist noch Reflex-Haft, oder? Der reine Psychoterror wären aber Grauen-Haft und Ekel-Haft. Nein, es bleibt dabei: home, sweet home! – das kann selbst jeder Igel pfeifen.
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Im Buchhandel erhältlich:
Hasenrein eingemiezelt
Kolumnen von Kathrin Dittmer.
Für alle, die wissen wollen, warum das Gehirn die eigentliche Problemzone ist, was Weltanschauungen und Küchenmaschinen gemeinsam haben und ob Molly der Hund tatsächlich Flöte spielen konnte.
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